Gesamtpersonalrat zu Homeschooling

Beschluss ‚Homeschooling‘ vom GPRLL MKK

Die derzeitige gesellschaftliche, wirtschaftliche und gesundheitliche Krise führt in allen Bereichen zu Einschränkungen und der Notwendigkeit, neue Wege der Kommunikation zu beschreiten. Für die Schulen, die Lehrkräfte und die Schüler_innen heißt dies, dass sie über größtenteils improvisierte, größtenteils privatwirtschaftlich bereitgestellte Kommunikationswege und mit privat finanzierten Geräten Fortsetzung von Lernen, z.T. sogar Fortsetzung von Leistungsüberprüfung und Notengebung zu organisieren versuchen.

Auch wir als gewerkschaftlich organisierte Lehrkräfte stellen uns dieser Herausforderung und tun unser Bestes, um mit der derzeitigen schwierigen Situation umzugehen.

Grundsätzlich ist dazu zunächst einmal festzuhalten, dass es in der aktuellen Situation die wichtigste Aufgabe der Lehrkräfte sein muss, die jungen Menschen und indirekt auch die Eltern dabei zu unterstützen, die nächsten Wochen einigermaßen stabil und gut strukturiert zu überstehen. Dazu ist es sicher sinnvoll, ihnen interessante und wiederholende Arbeitsaufträge zu geben. Und es ist sicher nicht sinnvoll, sie mit Aufgaben zu überschütten und dann auch noch Notendruck auszuüben. Abgesehen davon ist es äußerst zweifelhaft, ob letzteres rechtlich überhaupt haltbar ist.

Vor allem in den Hauptschulen (teilweise auch an den Grundschulen) gibt es große Defizite und große Unterschiede hinsichtlich der computertechnischen Ausstattung, sowohl in den Schulen als auch in den Elternhäusern, und den Fähigkeiten, damit umzugehen. Wir haben große Sorgen, dass die fehlende reale Übungszeit im realen Unterricht vom Dienstherrn nicht berücksichtigt wird und für die Abschlussschüler_innen der Haupt- und Realschulen der Prüfungstermin Anfang Mai bestehen bleibt. Viele der Schüler_innen an den Hauptschulen lernen schlecht „selbstverantwortlich“ und können auch oft nicht auf Unterstützung vom Elternhaus hoffen. Viele brauchen die direkte Ansprache beim Lernen. Viele sind auf dem Lernstand „Lernhilfe“, was bedeutet, sie brauchen „direkte“ und „persönliche“ Hilfe, keine Lernprogramme.

Manche Schulleitungen nehmen da wenig Rücksicht, erwarten regelmäßige „digitale“ Aufträge und Rückläufe, die die Kolleg_innen dokumentieren sollen/müssen. Die Schüler_innen wiederum wissen seit ca. 4 Wochen von einem „Schulportal“ und sollen jetzt - sofort - damit umgehen können.
Man kann weder davon ausgehen, dass bei den Schüler_innen die notwendige Technik immer und überall vorhanden ist und funktioniert und auch bei den Lehrkräften kann man dies nicht. Im Übrigen kann der Dienstherr nicht verlangen, dass Lehrkräfte private Endgeräte für dienstliche Zwecke verwenden. Ebensowenig ist es derzeit sinnvoll und statthaft, die Lehrkräfte an die Schule zu beordern, damit sie von dort aus arbeiten.

Jetzt machen sich die jahrelangen Versäumnisse bei der Digitalisierung der Schulen bemerkbar. Wenn so etwas wie Homeschooling mit elektronischen Medien funktionieren soll, muss der Dienstherr dafür sorgen, dass die Lehrkräfte die entsprechenden Endgeräte zur Verfügung gestellt bekommen. Weiterhin muss er dafür sorgen, dass die Lehrkräfte gründlich fortgebildet werden. Und der Schulträger muss dafür sorgen, dass jede/r/m Schüler_in ebenfalls die notwendigen Endgeräte und Programme zur Verfügung stehen. Schließlich haben wir in Hessen ja immer noch die Lernmittelfreiheit. Und nicht zuletzt müssen die notwendigen Schritte und ritualisierten Abläufe vorher gründlich eingeübt werden, bevor man sich voll auf dieses Instrument verlässt.

All dies ist nicht geschehen, und die Lehrkräfte versuchen jetzt alles, um diese absolut desaströse Situation irgendwie zu managen. Jedem, der sich bemüht, gebührt große Dankbarkeit und großer Respekt. Aber alles, was da läuft, ist kein Unterricht im herkömmlichen Sinne und kann von daher auch keine Grundlage für Lernkontrollen oder Benotung sein.

Der Dienstherr ist nun gefordert, großzügige Regelungen für alle Beteiligten zu finden, was Notengebung, Klassenarbeiten, Lernkontrollen, Vergleichsarbeiten, Lernstandserhebungen usw. betrifft. Alles andere ist nur gut gemeinte Improvisation im Kontext einer nie dagewesenen Krise und sicher in großen Teilen auch löblich. Aber es löst die anstehenden Probleme in keinster Weise.
Was bei dieser ganzen Situation auch noch bedacht werden muss, ist die soziale Dimension. Wir wissen aus diversen Untersuchungen, dass der Bildungserfolg in Deutschland extrem stark von der sozialen Stellung der Elternhäuser abhängt. Dieser Effekt wird durch die derzeitige Situation enorm verstärkt. Je länger diese Situation anhält, umso stärker ist dieser Effekt und um so größer ist die Gefahr, dass ganze Gruppen von Schüler_innen vom Lernfortschritt abgehängt werden. Viele Eltern sind einfach nicht in der Lage dazu, den Schüler_innen kompetent und pädagogisch sinnvoll zur Seite zu stehen.

Besonders prekär ist dabei die Situation der Kinder von Geflüchteten und aller Kinder mit Migrationshintergrund, die ja nun überhaupt keine Chance haben, ihre Deutschkenntnisse zu verbessern bzw. den Status Quo zu halten. Damit ist die jahrelange intensive und engagierte Arbeit von Grundschullehrer_innen in Frage gestellt. Von den emotionalen Irritationen ganz zu schweigen.
Aus all diesen Gründen ist es äußerst wichtig, dass das Kultusministerium nun baldmöglichst eine mittel- und langfristige Strategie entwirft, wie den Verwerfungen, die durch diese beispiellose Krise entstanden sind, begegnet werden soll.